Der Risk Blog
Die Welt ist aus den Fugen
Was jetzt getan werden kann, um die Auswirkungen der Corona-Pandemie einzudämmen
Die Corona-Pandemie hat Deutschland fest im Griff. Keine Region, die nicht betroffen wäre; kein Lebensbereich, der nicht beeinflusst ist; kein Gespräch mit Kollegen, Nachbarn, Freunden und Familie, in dem es nicht um das eine beherrschende Thema ginge. Zweifelsohne hat der Ausbruch des Corona-Virus in Deutschland und in Europa – so absehbar er nach den Ereignissen in China war – die Deutschen in dieser Vehemenz überrascht. Er lässt sie in einer seltsamen Mischung aus Verunsicherung und Paralyse auf die Newsticker und Sondersendungen dieser Welt blicken und führt selbst bei gestandenen Politikern und Managern zu Ratlosigkeit. Wie lange wird das Virus das Land in Atem halten? Wie stark werden wir die Auswirkungen auf Wirtschaft und Gesellschaft spüren? Wie betroffen werden wir im Einzelnen sein, gesundheitlich, beruflich, sozial? Die Antwort ist: Wir wissen es nicht! So sehr wir uns bemühen, Licht ins Dunkel zu bringen; so sehr das Robert-Koch-Institut und seine Experten für Aufklärung zu sorgen versuchen, der genaue Verlauf der weiteren Ausbreitung ist genauso ungewiss wie die Auswirkungen der dadurch in Gang gesetzten Krise. Sicher ist nur: Wir stehen bei alledem erst am Anfang.
Lange habe ich mich gefragt, ob und inwiefern ich zu diesem Thema publizieren sollte. So wichtig Aufklärung in diesen Zeiten ist, so bedeutend ist es auch, jeglichen Alarmismus und jede Form der Hysterie zu vermeiden. Vor allem aber ging es mir darum, auf dem Rücken einer gesundheitlichen Notsituation kommerzielle Absichten in meiner Funktion als Unternehmensberater mit dem Spezialgebiet des Risiko- und Krisenmanagements zu vermeiden und jeden Eindruck zu verhindern, ich würde Kapital aus der schwierigen Lage schlagen wollen. In den vergangenen Tagen haben mich jedoch immer mehr Fragen erreicht. Fragen von Mandanten, die sich um zwei Themengebiete drehen: Was kann und muss kurzfristig getan werden, um halbwegs unbeschadet durch diese Krise zu manövrieren? Und: Was sollte mittel- und langfristig getan werden, um künftig besser auf ähnliche Ereignisse vorbereitet zu sein? Aufgrund der Aktualität gerade der ersten Frage möchte ich im Folgenden kurz und prägnant auf die aus meiner Sicht sieben wichtigsten Punkte eingehen, die für jede Organisation gelten. Unternehmensindividuelle Risikobewertungen sollte diese Punkte ergänzen und im Angesicht konkreter Kontextbedingungen präzisieren:
Was kann und was muss kurzfristig getan werden?
1. Operative Handlungsfähigkeit sicherstellen
Um die Stabilität eines Unternehmens nicht zu gefährden, ist es zunächst entscheidend, die lebenswichtigen Funktionen eines Unternehmens zu identifizieren und deren Handlungsfähigkeit sicherzustellen. Hierzu gehören sämtliche direkten Funktionen der Wertschöpfungskette – von Einkauf über Produktion bis zum Vertrieb – und ausgewählte indirekte Funktionen wie bspw. Zahlungsverkehr und Kundenservice. Es ist sinnvoll, unter Einbeziehung dieser Funktionen einen Krisenstab zu bilden, in dem unkompliziert und ad hoc Maßnahmen beschlossen und direkt umgesetzt werden können.
2. Nachrichtenlage beobachten und eigene Betroffenheit kontinuierlich neu bewerten
Aufgrund der aktuellen Dynamik der Lage – sowohl hinsichtlich der Ausbreitung des Virus als auch im Hinblick auf dessen wirtschaftliche Auswirkungen – sollten Unternehmen täglich seriöse Quellen zu Rate ziehen, um die eigene Betroffenheit an allen Produktions- und Verwaltungsstandorten zu bewerten sowie Liefer- und Leistungsbeziehungen zu prüfen. Die offiziellen Verlautbarungen des Robert-Koch-Instituts sind hier ebenso einzubeziehen wie relevante Entscheidungen im föderalen System der Bundesrepublik auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene.
3. Finanzielle Resilienz erhöhen und ggf. proaktiv handeln
Zweifelsohne werden zahlreiche Unternehmen durch eine deutliche konjunkturelle Abkühlung und den Rückgang von Auftragseingängen unter dieser Krise zu leiden haben. Unternehmen sollten daher ihre finanzielle Resilienz stärken, indem sie ihre Liquiditätsbevorratung aufstocken sowie Art und Umfang ihrer Kreditlinien überprüfen. Zur Art der Kreditlinien gehören auch sogenannte Covenants, also Kreditvereinbarungen, die dazu führen können, dass der Zugang zu frischem Kapital bei Unterschreiten bestimmter Mindestanforderungen an Finanzkennzahlen ins Stocken gerät. Der Umfang der liquiden Mittel sollte so bemessen sein, dass bei einem erheblichen Rückgang der Erträge dennoch zumindest die Fixkosten sowie die kurzfristigen Verbindlichkeiten bedient und insolvenzgefährdende Entwicklungen vermieden werden können.
4. Genaue Kenntnis der staatlichen Hilfs- und Fördermaßnahmen erlangen
Die Bundesregierung hat deutlich gemacht, dass sie bereit ist, umfangreiche Maßnahmen zu ergreifen, um die Folgen der Krisen für die Wirtschaft und die Menschen im Land abzumildern („Whatever it takes“). Unternehmen sollten sich über die in diesem Kontext aufgelegten Programme informieren, eventuelle Anspruchsrechte prüfen und ggf. den Austausch mit verantwortlichen Behörden sowie den IHKs suchen. Konkret geht es bei dem bisher beschlossenen Schutzschild um die Erleichterung der Zugangsvoraussetzungen zu Kurzarbeitergeld, Liquiditätshilfen in Form von Steuerstundungen sowie ein umfangreiches Kreditprogramm zur Abmilderung potenzieller Finanznöte. Darüber hinaus wird die EZB ihre Maßnahmen zur indirekten Bereitstellung von Liquidität über Banken an die Wirtschaft weiter ausbauen.
5. Robustheit gegenüber Angriffen von außen im Blick behalten
So grotesk es klingen mag: Es ist nicht auszuschließen, dass Kriminelle die derzeit bestehende Unsicherheit auszunutzen versuchen. Die aktuelle Fokussierung vieler Unternehmen und ihrer Entscheidungsträger auf die offensichtliche Krise kann dazu führen, dass die Sensibilität im Hinblick auf andere Gefahren abnimmt. Cyber-Angriffe könnten so bspw. erhöhte Schäden verursachen, „Fake President“-Angriffe könnten Unternehmen in einer verwundbaren Zeit treffen und pragmatisch gemeinte interne Notlösungen bspw. im Zahlungsverkehr könnten ausgenutzt werden. Daher bleibt es trotz aller Fokussierung auf Corona und dessen Folgen wichtig, den Selbstschutz des Unternehmens vor vorsätzlichen Angriffen und fahrlässigen Fehlern aufrecht zu erhalten.
6. Krisenzeiten sinnvoll nutzen
So schmerzhaft und gefährlich ein Produktionsstopp oder eine Absatzflaute sein können: Wenn die Bänder stillstehen und die Vertriebsmitarbeiter im Büro / Home Office sich befinden, sollte die Zeit sinnvoll genutzt werden. Ob der Abbau von Überzeiten, vorgezogene Inventuren, die Durchführung von längst geplanten Instandsetzungen oder die Überarbeitung interner Prozesse – es gibt eine Vielzahl von Aktivitäten, die jetzt angegangen werden sollten, um die Krise zu überbrücken und gestärkt aus dieser Zeit hervorzugehen.
7. Offen kommunizieren und den Menschen in den Mittelpunkt stellen
Unabhängig von allen wirtschaftlich sinnvollen Maßnahmen: Im Mittelpunkt der aktuellen Krisenbewältigung sollten die Menschen stehen. Mitarbeiter und deren Angehörige, Kunden, Lieferanten und Geschäftspartner – sie alle tragen mit ihren Leistungen zu einer auf Kooperation ausgerichteten gelingenden Wirtschaft bei. Daher ist es wichtig, gerade in Krisenzeiten zusammenzustehen und die individuellen Bedürfnisse ernst zu nehmen. Wenn Schulen und Kitas schließen, wenn ältere und kranke Menschen betreut werden müssen, dann sollten Unternehmen nach Wegen suchen, die ökonomischen Notwendigkeiten mit den sozialen Möglichkeiten des Einzelnen in Einklang zu bringen. Home Office kann, davon ist in den letzten Tagen viel gesprochen worden, die Ausbreitungsgeschwindigkeit des Virus reduzieren helfen. Die in diesem Zusammenhang erforderlichen inhaltlichen, arbeitsrechtlichen und technischen Voraussetzungen sollten geklärt und mit den Arbeitnehmervertretern vereinbart werden. Vor allem aber gilt es, offen in alle Richtungen zu kommunizieren, auf diese Weise Vertrauen in die Resilienz des Unternehmens und die Handlungsfähigkeit des Managements aufzubauen und im Schulterschluss durch diese Krisenzeit zu manövrieren.
Oft sind es außergewöhnliche Ereignisse, die uns darauf besinnen lassen, was wirklich im Leben zählt. In Zeiten unbändiger Beschleunigung nahezu sämtlicher geschäftlicher und privater Lebensbereiche verdeutlicht uns diese Krise einmal mehr: Es sind die menschlichen Beziehungen, die uns Orientierung und Halt geben, die uns Gemeinschaft bieten, wenn Einsamkeit droht und die uns stärker machen, wenn wir als Individuen schwach sind. Corona wird uns noch viele Monate in Atem halten. Lassen Sie uns rücksichtsvoll und besonnen durch diese Zeit gehen und gestärkt aus ihr hervorgehen!




