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Der Risk Blog 

Die Welt ist aus den Fugen

  • von Dr. Stefan Otremba
  • 15 März, 2020

Was jetzt getan werden kann, um die Auswirkungen der Corona-Pandemie einzudämmen

Die Corona-Pandemie hat Deutschland fest im Griff. Keine Region, die nicht betroffen wäre; kein Lebensbereich, der nicht beeinflusst ist; kein Gespräch mit Kollegen, Nachbarn, Freunden und Familie, in dem es nicht um das eine beherrschende Thema ginge. Zweifelsohne hat der Ausbruch des Corona-Virus in Deutschland und in Europa – so absehbar er nach den Ereignissen in China war – die Deutschen in dieser Vehemenz überrascht. Er lässt sie in einer seltsamen Mischung aus Verunsicherung und Paralyse auf die Newsticker und Sondersendungen dieser Welt blicken und führt selbst bei gestandenen Politikern und Managern zu Ratlosigkeit. Wie lange wird das Virus das Land in Atem halten? Wie stark werden wir die Auswirkungen auf Wirtschaft und Gesellschaft spüren? Wie betroffen werden wir im Einzelnen sein, gesundheitlich, beruflich, sozial? Die Antwort ist: Wir wissen es nicht! So sehr wir uns bemühen, Licht ins Dunkel zu bringen; so sehr das Robert-Koch-Institut und seine Experten für Aufklärung zu sorgen versuchen, der genaue Verlauf der weiteren Ausbreitung ist genauso ungewiss wie die Auswirkungen der dadurch in Gang gesetzten Krise. Sicher ist nur: Wir stehen bei alledem erst am Anfang.

Lange habe ich mich gefragt, ob und inwiefern ich zu diesem Thema publizieren sollte. So wichtig Aufklärung in diesen Zeiten ist, so bedeutend ist es auch, jeglichen Alarmismus und jede Form der Hysterie zu vermeiden. Vor allem aber ging es mir darum, auf dem Rücken einer gesundheitlichen Notsituation kommerzielle Absichten in meiner Funktion als Unternehmensberater mit dem Spezialgebiet des Risiko- und Krisenmanagements zu vermeiden und jeden Eindruck zu verhindern, ich würde Kapital aus der schwierigen Lage schlagen wollen. In den vergangenen Tagen haben mich jedoch immer mehr Fragen erreicht. Fragen von Mandanten, die sich um zwei Themengebiete drehen: Was kann und muss kurzfristig getan werden, um halbwegs unbeschadet durch diese Krise zu manövrieren? Und: Was sollte mittel- und langfristig getan werden, um künftig besser auf ähnliche Ereignisse vorbereitet zu sein? Aufgrund der Aktualität gerade der ersten Frage möchte ich im Folgenden kurz und prägnant auf die aus meiner Sicht sieben wichtigsten Punkte eingehen, die für jede Organisation gelten. Unternehmensindividuelle Risikobewertungen sollte diese Punkte ergänzen und im Angesicht konkreter Kontextbedingungen präzisieren:

Was kann und was muss kurzfristig getan werden?

 1.     Operative Handlungsfähigkeit sicherstellen

Um die Stabilität eines Unternehmens nicht zu gefährden, ist es zunächst entscheidend, die lebenswichtigen Funktionen eines Unternehmens zu identifizieren und deren Handlungsfähigkeit sicherzustellen. Hierzu gehören sämtliche direkten Funktionen der Wertschöpfungskette – von Einkauf über Produktion bis zum Vertrieb – und ausgewählte indirekte Funktionen wie bspw. Zahlungsverkehr und Kundenservice. Es ist sinnvoll, unter Einbeziehung dieser Funktionen einen Krisenstab zu bilden, in dem unkompliziert und ad hoc Maßnahmen beschlossen und direkt umgesetzt werden können.

 

2.     Nachrichtenlage beobachten und eigene Betroffenheit kontinuierlich neu bewerten

Aufgrund der aktuellen Dynamik der Lage – sowohl hinsichtlich der Ausbreitung des Virus als auch im Hinblick auf dessen wirtschaftliche Auswirkungen – sollten Unternehmen täglich seriöse Quellen zu Rate ziehen, um die eigene Betroffenheit an allen Produktions- und Verwaltungsstandorten zu bewerten sowie Liefer- und Leistungsbeziehungen zu prüfen. Die offiziellen Verlautbarungen des Robert-Koch-Instituts sind hier ebenso einzubeziehen wie relevante Entscheidungen im föderalen System der Bundesrepublik auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene.

 

3.     Finanzielle Resilienz erhöhen und ggf. proaktiv handeln

Zweifelsohne werden zahlreiche Unternehmen durch eine deutliche konjunkturelle Abkühlung und den Rückgang von Auftragseingängen unter dieser Krise zu leiden haben. Unternehmen sollten daher ihre finanzielle Resilienz stärken, indem sie ihre Liquiditätsbevorratung aufstocken sowie Art und Umfang ihrer Kreditlinien überprüfen. Zur Art der Kreditlinien gehören auch sogenannte Covenants, also Kreditvereinbarungen, die dazu führen können, dass der Zugang zu frischem Kapital bei Unterschreiten bestimmter Mindestanforderungen an Finanzkennzahlen ins Stocken gerät. Der Umfang der liquiden Mittel sollte so bemessen sein, dass bei einem erheblichen Rückgang der Erträge dennoch zumindest die Fixkosten sowie die kurzfristigen Verbindlichkeiten bedient und insolvenzgefährdende Entwicklungen vermieden werden können.

 

4.     Genaue Kenntnis der staatlichen Hilfs- und Fördermaßnahmen erlangen

Die Bundesregierung hat deutlich gemacht, dass sie bereit ist, umfangreiche Maßnahmen zu ergreifen, um die Folgen der Krisen für die Wirtschaft und die Menschen im Land abzumildern („Whatever it takes“). Unternehmen sollten sich über die in diesem Kontext aufgelegten Programme informieren, eventuelle Anspruchsrechte prüfen und ggf. den Austausch mit verantwortlichen Behörden sowie den IHKs suchen. Konkret geht es bei dem bisher beschlossenen Schutzschild um die Erleichterung der Zugangsvoraussetzungen zu Kurzarbeitergeld, Liquiditätshilfen in Form von Steuerstundungen sowie ein umfangreiches Kreditprogramm zur Abmilderung potenzieller Finanznöte. Darüber hinaus wird die EZB ihre Maßnahmen zur indirekten Bereitstellung von Liquidität über Banken an die Wirtschaft weiter ausbauen.

 

5.     Robustheit gegenüber Angriffen von außen im Blick behalten

So grotesk es klingen mag: Es ist nicht auszuschließen, dass Kriminelle die derzeit bestehende Unsicherheit auszunutzen versuchen. Die aktuelle Fokussierung vieler Unternehmen und ihrer Entscheidungsträger auf die offensichtliche Krise kann dazu führen, dass die Sensibilität im Hinblick auf andere Gefahren abnimmt. Cyber-Angriffe könnten so bspw. erhöhte Schäden verursachen, „Fake President“-Angriffe könnten Unternehmen in einer verwundbaren Zeit treffen und pragmatisch gemeinte interne Notlösungen bspw. im Zahlungsverkehr könnten ausgenutzt werden. Daher bleibt es trotz aller Fokussierung auf Corona und dessen Folgen wichtig, den Selbstschutz des Unternehmens vor vorsätzlichen Angriffen und fahrlässigen Fehlern aufrecht zu erhalten.

 

6.     Krisenzeiten sinnvoll nutzen

So schmerzhaft und gefährlich ein Produktionsstopp oder eine Absatzflaute sein können: Wenn die Bänder stillstehen und die Vertriebsmitarbeiter im Büro / Home Office sich befinden, sollte die Zeit sinnvoll genutzt werden. Ob der Abbau von Überzeiten, vorgezogene Inventuren, die Durchführung von längst geplanten Instandsetzungen oder die Überarbeitung interner Prozesse – es gibt eine Vielzahl von Aktivitäten, die jetzt angegangen werden sollten, um die Krise zu überbrücken und gestärkt aus dieser Zeit hervorzugehen.

 

7.     Offen kommunizieren und den Menschen in den Mittelpunkt stellen

Unabhängig von allen wirtschaftlich sinnvollen Maßnahmen: Im Mittelpunkt der aktuellen Krisenbewältigung sollten die Menschen stehen. Mitarbeiter und deren Angehörige, Kunden, Lieferanten und Geschäftspartner – sie alle tragen mit ihren Leistungen zu einer auf Kooperation ausgerichteten gelingenden Wirtschaft bei. Daher ist es wichtig, gerade in Krisenzeiten zusammenzustehen und die individuellen Bedürfnisse ernst zu nehmen. Wenn Schulen und Kitas schließen, wenn ältere und kranke Menschen betreut werden müssen, dann sollten Unternehmen nach Wegen suchen, die ökonomischen Notwendigkeiten mit den sozialen Möglichkeiten des Einzelnen in Einklang zu bringen. Home Office kann, davon ist in den letzten Tagen viel gesprochen worden, die Ausbreitungsgeschwindigkeit des Virus reduzieren helfen. Die in diesem Zusammenhang erforderlichen inhaltlichen, arbeitsrechtlichen und technischen Voraussetzungen sollten geklärt und mit den Arbeitnehmervertretern vereinbart werden. Vor allem aber gilt es, offen in alle Richtungen zu kommunizieren, auf diese Weise Vertrauen in die Resilienz des Unternehmens und die Handlungsfähigkeit des Managements aufzubauen und im Schulterschluss durch diese Krisenzeit zu manövrieren.

Oft sind es außergewöhnliche Ereignisse, die uns darauf besinnen lassen, was wirklich im Leben zählt. In Zeiten unbändiger Beschleunigung nahezu sämtlicher geschäftlicher und privater Lebensbereiche verdeutlicht uns diese Krise einmal mehr: Es sind die menschlichen Beziehungen, die uns Orientierung und Halt geben, die uns Gemeinschaft bieten, wenn Einsamkeit droht und die uns stärker machen, wenn wir als Individuen schwach sind. Corona wird uns noch viele Monate in Atem halten. Lassen Sie uns rücksichtsvoll und besonnen durch diese Zeit gehen und gestärkt aus ihr hervorgehen!

von Stefan Otremba 25 Okt., 2020

“Food for Thought” im Rahmen der semi-virtuellen Auftaktveranstaltung der DNWE-Jahrestagung 2020 zum Thema “Integrität und Compliance in der Krise – oder: Warum Wirtschaftsethik gerade jetzt gebraucht wird”

Im vorliegenden Beitrag (Video: https://www.youtube.com/watch?v=7AfP9BNCDsM&feature=emb_logo ) beschäftige ich mich mit der Frage, wie Compliance und Risikomanagement – die zwei tragenden Säulen der regulatorischen Corporate Governance – in der aktuellen Situation gefordert, wie sie durch diese beeinflusst sind und wie sie dazu beitragen können, diese Situation, nennen wir sie Krise, zu bewältigen. Im Folgenden werde ich mich diesen Fragen in drei Schritten zuwenden. Zunächst werde ich Ihnen aufzeigen, was ich annehme, wenn ich von einer sogenannten “Krise” spreche. Anschließend werde ich Ihnen darlegen, welche Auswirkungen diese Krise für die Unternehmen hat, um abschließend den Versuch zu unternehmen, einen Ausblick zu wagen, was die Corporate Governance Funktionen im Allgemeinen und Compliance und Risikomanagement im Besonderen tun müssen, um diesen Herausforderungen zu begegnen.

 

Was verstehe ich unter „Krise“?

Die Psychologie definiert eine Krise als einen durch ein überraschendes Ereignis oder akutes Geschehen hervorgerufenen schmerzhaften seelischen Zustand, der entsteht, wenn sich eine Person Hindernissen bei der Alltagsbewältigung gegenübersieht und diese nicht mit den gewohnten Problemlösungsmethoden bewältigen kann.

Übertragen auf unsere Gesellschaft werden Sie unweigerlich an COVID-19 denken, die pandemische Krise, die unsere Gesellschaft seit Monaten in Atem hält. Das ist nicht falsch – aber auch nicht ganz richtig. Es ist nicht COVID-19 alleine, welche die Omnipräsenz des Begriffes “Krise” erklärt. Vielmehr handelt es sich um ein multiples Krisengeschehen, das erst durch das wechselseitige Zusammenwirken einer Reihe krisenähnlicher Entwicklungen seine volle Wirkung entfaltet: Erst das kombinierte Auftreten der durch die Pandemie ausgelösten und noch nicht bewältigten Krisen, beispielsweise der noch nicht einmal im Ansatz bewältigten Klimakrise, der ebenfalls noch nicht gelösten sogenannten Flüchtlingskrise, sowie durch die jüngsten Skandale in einzelnen Wirtschaftsunternehmen und deren Aufsichtsbehörden ausgelösten Vertrauenskrise in ökonomische und staatliche Institutionen. Diese Krisen führen zu einem Zustand, den viele als Verlust der Kontrolle, als Verlust der Perspektive und schließlich als Überforderung empfinden und die durch einen versäumten Strukturwandel in ganzen Branchen und Regionen ausgelöste tiefergehende ökonomische Krise.

Hinzu kommt ein weiterer wichtiger Punkt: Es sind nicht die soeben beschriebenen Krisen und deren Symptome allein, die uns umtreiben. Es ist die Dissonanz zwischen unseren Überzeugungen hinsichtlich notwendiger Maßnahmen zur Bewältigung der unterschiedlichen Krisen einerseits und unserem tatsächliche Verhalten andererseits – soziologisch formuliert: eine kollektive kognitive Dissonanz  – die unsere Gesellschaft im Jahr 2020 prägt – und ich denke, besonders deutlich wird dies an unserem Umgang mit Flüchtlingen, an unserem Umgang mit dem Klima, und es wäre ein leichtes weitere Beispiele hierfür zu finden.

Mit anderen Worten: Wenn ich von den Auswirkungen der “Krise” auf die Corporate Governance spreche, dann meine ich dieses multiple Krisengeschehen und unsere verbale Aufgeschlossenheit bei gleichzeitiger Verhaltensstarre , die unsere Gesellschaft an sich und die Unternehmen als wichtige gesellschaftliche Akteure herausfordern.

 

Welche Auswirkungen hat die Gemengelage für Unternehmen und deren Governance?

Auf einer gesamtgesellschaftlichen Ebene beobachte ich eine deutlich gewachsene Bedeutung des Staates – und zwar in zweierlei Hinsicht:

Zum einen als normgebenden Akteur bei der Bewältigung des multiplen Krisengeschehens und als Orientierungsstifter in unsicheren Zeiten. Mit anderen Worten: Die Komplexität unserer Welt im Jahr 2020 führt zu einem Mehr an institutioneller Gestaltung. Zum zweiten verstärkt der Staat seine Rolle als wirtschaftlicher Akteur, indem er durch arbeitsmarktpolitische Maßnahmen (Kurzarbeitergeld), durch wirtschafts- und geldpolitische Maßnahmen über die Zentralbanken (“deficit spending”) die konjunkturellen Auswirkungen abzufedern versucht – mit allen fiskalpolitischen Konsequenzen für die kommenden Jahre und Jahrzehnte.

Auf der Ebene des einzelnen Unternehmens beobachte ich – je nach Branchenzugehörigkeit und Geschäftsmodell – vier Entwicklungen:

Zum einen zum Teil heftige Umsatz- und Gewinneinbrüche, insbesondere als Folge von COVID-19, aber auch bedingt durch eine Beschleunigung des Strukturwandels in zahlreichen Branchen. Folglich deutlich erhöhten Kostendruck, insbesondere durch eine Eintrübung der Wirtschaftslage, aber auch durch notwendige Investitionen in die Förderung künftiger Wertschöpfungspotenziale – von der Digitalisierung über notwendige Strukturmaßnahmen bis hin zur Nachhaltigkeit. Des Weiteren ein Mehr an Anforderungen durch eine Vielzahl an Stakeholdern, hier vor allem in den Umwelt-, Sozial-, Arbeitnehmer und Governance-Themen und abschließend eine sich immer weiter verschärfende Orientierungslosigkeit zahlreicher Unternehmen beim Finden einer Balance zwischen den zahlreichen sich teils widersprechenden Entwicklungen und beim Umgang mit dem eingangs beschriebenen multiplen Krisengeschehen.

 

Was heißt das nun für die Corporate Governance von Unternehmen?

Zweifelsohne werden die normativen Anforderungen an Unternehmen weiter zunehmen und mit ihnen die Bedeutung von Compliance und Risikomanagement als Gatekeeper einer wirksamen Corporate Governance. Mit dem Sorgfaltspflichtengesetz (“Lieferkettengesetz”) steht ein neues Gesetz vor der Tür – als Folge eines völlig unzureichenden Ergebnisses aus einer Bestandsaufnahme zum Umgang mit menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten in der Praxis im Rahmen des NAP. Neben diesem erwartet uns das Verbandssanktionengesetz und mit ihm die erstmalige Einführung eines Unternehmensstrafrecht im deutschen Raum. Glücklich schätzen kann man sich zudem über die EU-Hinweisgeberrichtlinie, die im kommenden Jahr in deutsches Recht umgesetzt wird. Mit ihr wird der Schutz von “Whistleblowern” in Unternehmen deutlich gestärkt. Auch im internationalen Kontext sehen sich Unternehmen mit einer zunehmend volatilen Geopolitik sowie mit der systematischen Verknüpfung von Rechtsverstößen einerseits und deren Zugang zu Produktions- und Absatzmärkten andererseits konfrontiert. In bemerkenswerter Weise auf die Spitze getrieben im chinesischen “Corporate Social Credit System”.

Jedoch gilt es hier nicht allein die regulatorischen Vorgaben zu nennen. Auch und vor allem die durch eine Vielzahl und Vielfalt an Stakeholdern geprägten Anforderungen an Unternehmen setzen die Corporate Governance von Unternehmen unter Druck. Nie zuvor war die Straße so laut in der Artikulation ihrer Ambitionen, so vielschichtig, in der Benennung ihrer Forderungen und so mächtig, in der Beeinflussung der politischen und wirtschaftlichen Agenda! Ich bin der festen Überzeugung, dass die anstehende Bundestagswahl ganz wesentlich von der Klimadebatte geprägt sein wird. Risikomanagement und Compliance werden in dieser Debatte gebraucht. Neben der Funktion des aufmerksamen Beobachters, auch als Berater und nicht zuletzt als Vermittler in einem zunehmend lebhaften Diskurs, der durch die sozialen Medien verstärkt und nicht allein mit Pressemitteilungen geführt wird.

Eng damit verknüpft ist die Rolle von Risikomanagement und Compliance als Schutzfunktion im und für das Unternehmen. Ich bin der Ansicht, dass staatliche Institutionen ihre Möglichkeiten zur Durchsetzung geltenden Rechts künftig stärker ausschöpfen werden – um leere Kassen infolge so mancher Staatsintervention wieder zu füllen, aber auch, um auf offensichtlich gewordene Defizite in der Führung und Überwachung von Unternehmen zu reagieren. Risikomanagement und Compliance sollten diese finanziellen, rechtlichen und Reputationsrisiken abschätzen, ihre Risikoinventare vervollständigen, ihre Risikouniversen neu kalibrieren und Prioritäten überdenken.

Das Ganze erfolgt vor dem Hintergrund eines zunehmenden Kosten- und Wettbewerbsdrucks für nahezu alle Unternehmen. Aus meinen Gesprächen mit zahlreichen Vorständen und Aufsichtsräten kenne ich den Eindruck, dass die CG-Debatte der vergangenen Jahre zwar zu teils riesigen Bereichen geführt hat, ein unmittelbarer Mehrwert für die Entscheidungsträger im Unternehmen aber nicht erkennbar ist. Riskmanagement und Compliance werden künftig noch stärker in Entscheidungsfindungsprozesse eingebunden sein, Lösungen entwickeln und das Management unterstützen müssen, um als Mehrwertstifter im Unternehmen wahrgenommen zu werden. Nur dann wird es ihnen gelingen, in den sich abzeichnenden Einsparrunden in vielen Firmen verschont zu bleiben und in ihrer umfassenden Rolle als Beratungs-, Ordnungs- und Schutzfunktion geschätzt zu werden.

Und schließlich: Je komplexer Unternehmensumfeld und –Umwelt sind, desto bedeutsamer werden die organisationalen Fähigkeiten der Polylingualität und der Transkulturalität für das diskursive Erkennen der Interessen von internen und externen Mitarbeitern, von den Handlungen eines Unternehmens betroffener Personen. Die über ethnische, kulturelle und Generationengrenzen hinweg reichende Anschlussfähigkeit ist eine wesentliche Kompetenz, die in Zukunft immer stärker beeinflussen wird, inwiefern es dem Management eines Unternehmens gelingt, die Ansprüche der Stakeholder zu erkennen und eigene Werte und Ziele so zu kommunizieren, dass sie eine Chance auf Verwirklichung haben.

Dass dies nicht allein mithilfe von Richtlinien und internen Kontrollen erreicht werden kann, dürfte in den meisten Unternehmen mittlerweile angekommen sein. Jedoch fehlt es noch viel zu oft an Mechanismen der Partizipation und der systematischen Rückkopplung, kurzum: an einer von moralischen Anreizstrukturen getragenen und durch Integrität geprägten offenen Kommunikations- und Kooperationskultur. Es ist diese spezifische diskursive, kognitive und empathische Kompetenz – getragen von einem profunden Verständnis zu Ethik, Ökonomik und Recht – die zur Signatur der Corporate Governance in den kommenden Jahren  wird und meiner Überzeugung nach über alle anderen Fragen entscheidet. Charles Darwin hat einmal gesagt:

„Es ist nicht die schnellste Spezies, die überlebt, nicht mal der schlaueste, sondern diejenige, die in der Lage ist, sich am besten auf sich verändernde Umfeldbedingungen anzupassen.“

Was für die natürliche Evolution gilt, das gilt in gewisser Weise auch für Unternehmen. Die CG-Funktionen haben eine wichtige Aufgabe dabei, Unternehmen auf diesem Weg zu unterstützen. Zweifelsohne werden Sie noch stärker Orientierung stiften müssen, wo regulatorische Vorgaben ungenau sind oder fehlen. Sie werden noch stärker Sicherheit geben müssen, wo Informationslagen unvollkommen bleiben und sie werden noch stärker aus ihren jeweiligen Silos herauskommen und stattdessen interagieren müssen. Erst die interdisziplinäre Verknüpfung der CG-Funktionen auf allen Verteidigungslinien wird das volle Potenzial eines resilienten Unternehmens entfalten können. Vor allem aber werden sie daran mitwirken müssen, jenseits aller Regeln und Kontrollen den Werte-Kompass der Mitarbeitenden zu stärken und damit der Integrität in Unternehmen zur Geltung zu verhelfen.


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https://www.youtube.com/watch?v=7AfP9BNCDsM&feature=emb_logo

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